WARUM SOLLTE MAN SICH VOR EINEM KONZHERTBESUCH ÜBER UNBEKANNTE WERKE INFORMIEREN?

Besonders über Musikwerke, die man noch nicht kennt, sollte man sich nach Möglichkeit vorher informieren. Ich meine damit weniger die biographischen Daten, sondern tatsächlich die Musik, das tönende Material, den Stoff, mit dem der Komponist arbeitet. Wenn man sich in einer unbekannten Stadt umschauen will, sieht man sich vorher meist einen Stadtplan an, man informiert sich über Verkehrsmittel, Fahrpläne usw. So kennt man die Lage der gesuchten Gebäude zu einander und kann seinen Weg optimal planen. Wer das nicht tut, irrt "planlos" herum, geht oder fährt oft in die falsche Richtung, erreicht sein Ziel nicht, verliert viel Zeit, ärgert sich. All das trübt das Vergnügen erheblich.

Auch wenn man ins Theater geht, ist es von Vorteil, sich vorher über handelnde Personen, Zeit, Hintergründe usw. zu informieren. Für die meisten Musikstücke gibt es minutiös genaue Pläne, die Noten (für mehrere Instrumente und Orchester: PARTITUREN), nichts ist "geheim". Musik wird auch als eine Art Sprache bezeichnet, aber statt handelnder Personen haben wir es zumindest in traditioneller Musik mit THEMEN zu tun, das sind meist kleine, recht charakteristische Melodien. Wie ein sprachlicher Satz aus Wortgruppen, wie einzelne Wörter aus Worstammstamm, Endungen, letzten Endes aus Lauten aufgebaut ist, die erst miteinander einen Sinn ergeben, so bestehen musikalische THEMEN aus Motiven (das sind "auffällige" Tonkombinationen), letzlich aus Tönen verschiedener Höhe, Klangfarbe, Dauer, Lautstärke, Artikulation usw.
Damit wir ein Musikstück als eine Einheit empfinden wie ein Theaterstück, reiht der Komponist nicht einen Einfall an den anderen, bis die gewünschte Dauer erreicht ist. So etwas wäre vielleicht anfangs und sehr kurz interessant, bald aber würden wir eher ein verwirrendes Chaos als ein angenehm geordnetes Ganzes erleben.

Wie im Drama der Autor sich auf wenige Hauptpersonen beschränken muss, so beschränkt sich der Komponist auf wenige THEMEN. Erst wenn man diese kennt - das heißt, wenn man sie auch in jeder "Verkleidung" noch identifizieren kann, kann man nicht nur ein Klangbad, sondern einen interessanten, auf eine andere Art phantasievoll gestalteten Kosmos erleben.

Ein Thema ist das zu Beginn der Kompositionsarbeit geschaffene ansprechende Gebilde, mit dem der Komponist dann wie mit einer Spielfigur umgehen kann: Er stellt ein Thema vielleicht in verschiedenen Farben vor, er verkleidet es unterschiedlich, einmal kommt es sanft, zart, verträumt, unschuldig, an anderer Stelle - etwa in der so genannten DURCHFÜHRUNG - wird es unruhig oder wächst lautstark zu bedrohlichen akustischen Dimensionen heran.

Über ein Gesprächsthema kann man reden, man kann einzelne Aspekte herausgreifen, sich darin vertiefen oder darüber streiten. In der Musik können Teile des Themas, genannt Motive, herausgegriffen und auf verschiedene Art weitergeführt, verändert (=variiert), mit anderen Themen oder Motiven kombiniert werden (wenn 2 oder mehr Melodien gleichzeitig erklingen, spricht man von Polyphonie).

Erst wenn man also die Themen kennt, kann man erleben, was ihnen widerfährt, wie sie zu einander in Beziehung treten, sich verstellen, verstecken, wie sie mit einander spielen, tanzen, reden, wie sie zu einander finden, sich trennen usw. Ich habe also nicht ständig etwas Neues, in dem ich keine Ordnung und Orientierung finden kann. Vielmehr verfolge ich wenige Themen (Hauptthema oder 1. Thema, manchmal wird auch von "Gedanken" gesprochen; 2. thema oder Nebenthema usw.) in verschiedensten Gestalten und Situationen - musikalisch handelt es sich um VARIATIONEN im weitesten Sinn. Der "Witz" erschließt sich nur, wenn man weiß, was variiert wird.   

Ähnliches haben wir in der Sprache ständig vor uns. In der Presse vom 28.3. 2009 lese ich die Überschrift: "Mini-Madoff"-Fall: Spuren in der Schweiz. Die Überschrift ist unverständlich für jemanden, der nicht weiß, was er sich unter "Madoff" vorzustellen hat.

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